Bild: Tomy Ungerer: Vögel. © Diogenes-Verlag, Zürich 2004, ISBN 3257020821, www.diogenes.ch

Holder klingt der Vogelsang
(
oder
Minnelied im Mai) 
 
Holder klingt der Vogelsang,
Wenn die Engelreine,
Die mein junges Herz bezwang
Wandelt durch die Haine.
 
 
Röter blühen Tal und Au,
Grüner wird der Wasen,
Wo mir Blumen rot und blau
Ihre Hände lasen. 
 

Ohne sie ist alles tot,
Welk sind Blüt' und Kräuter;
Und kein Frühlingsabendrot
Dünkt mir schön und heiter. 
 
 
 
Traute, minnigliche Frau,
Wollest nimmer fliehen;
Daß mein Herz, gleich dieser Au,
Mög' in Wonne blühen! 
 
Text:
Ludwig Heinrich Christoph HÖLTY (1748-1776)
 
Musiksatz:
Johannes BRAMS (1833-1897), op. 71 no. 5 "Minnelied"
Jakob Ludwig Felix MENDELSSON- BARTHOLDY (1809-1847),
op. 8 no. 1 "Minnelied im Mai" (1828)
Franz SCHUBERT (1797-1828), D. 429, "Minnelied" (Mai 1816).
 

Vogelsang
(
oder Die Quelle)
 
Unsre Quelle kommt im Schatten
Duft'ger Linden an das Licht,
Und wie dort die Vögel singen,
Nein, das weiß doch jeder nicht! 
 
Und das Mädchen kam zur Quelle,
Einen Krug in jeder Hand,
Wollte schnell die Krüge füllen,
Als ein Jüngling vor ihr stand
.
 

Mögen wohl geplaudert haben,                
Kam das Mädchen spät nach Haus:
Gute Mutter, sollst nicht schelten,
Sandtest selbst ja mich hinaus.
 
Geht man leicht zur Quelle, trägt man
Doch zu Haus ein schwer Gewicht,
Und wie dort die Vögel singen, -
Mutter, nein, das weißt du nicht!
 
 
Text:
Adelbert
von CHAMISSO (1781-1838), "Vogelsang"
("Die Quelle"), 1827.
Musiksatz: 
Carl GOLDMARK (1830-1915), op. 18 no. 5 Nikolai
Karlovich MEDTNER (1880-1951), op. 46 no. 6 (1925-6). 

Der Traurige
 

Allen tut es weh im Herzen,
Die den bleichen Knaben sehn,
Dem die Leiden, dem die Schmerzen
Aufs Gesicht geschrieben stehn. 
 
Mitleidvolle Lüfte fächeln
Kühlung seiner heißen Stirn;
Labung möcht ins Herz ihm lächeln
Manche sonst so spröde Dirn'. 

Aus dem wilden Lärm der Städter               
Flüchtet er sich nach dem Wald.
Lustig rauschen dort die Blätter,
Lust'ger 
Vogelsang erschallt. 
 
Doch der Sang verstummet balde,
Traurig rauschet Baum und Blatt,
Wenn der Traurige dem Walde
Langsam sich genähert hat.
 
Text:
Heinrich HEINE (1797-1856)
Musiksatz:
Ferdinand Gottfried BAAK
E (1800-1881), op. 13 no. 8.        
Rafael BEHN, op. 6 Heft II no. 3.
J. von BOLTO, aus Fünf Lieder, no. 2.

Hans SCHMITT (1835-1907), op. 52 no. 1

Winterlied
 

Keine Blumen blühn;
Nur das Wintergrün
Blickt durch Silberhüllen;
Nur das Fenster füllen
Blumen rot und weiß,
Aufgeblüht aus Eis. 
 
Ach, kein Vogelsang
Tönt mit frohem Klang,
Nur die Winterweise
Jener kleinen Meise,
Die am Fenster schwirrt,
Und um Futter girrt.

Minne flieht den Hain,
Wo die Vögelein
Sonst im grünen Schatten
Ihre Nester hatten;
Minne flieht den Hain,
Kehrt ins Zimmer ein. 
 
Kalter Januar,
Hier werd' ich fürwahr
Unter Minnespielen
Deinen Frost nicht fühlen!
Walte immerdar,
Kalter Januar!


Text:
Ludwig Heinrich Christoph HÖLTY
(1748-1776)
Musiksatz: 
Johannes BRAMS (1833-1897),
op. 71 no. 5 "Minnelied"
Franz SCHUBERT (1797-1828), D. 401      
(13. Mai 1816).

Tom der Reimer
 
Der Reimer Thomas lag am Bach,
Am Kieselbach bei Huntly Schloß.
Da sah er eine blonde Frau,
Die saß auf einem weißen Roß. 
 
Sie saß auf einem weißen Roß,
Die Mähne war geflochten fein,
Und hell an jeder Flechte hing
Ein silberblankes Glöckelein. 
 
Und Tom der Reimer zog den Hut
Und fiel auf's Knie, er grüßt und spricht:
"Du bist die Himmelskönigin!
Du bist von dieser Erde nicht!" 
 
Die blonde Frau hält an ihr Roß:
"Ich will dir sagen, wer ich bin;
Ich bin die Himmelsjungfrau nicht,
Ich bin die Elfenkönigin!"

"Nimm deine Harf und spiel und sing
Und laß dein bestes Lied erschalln!
Doch wenn du meine Lippe küßt,
Bist du mir sieben Jahr verfalln!" 
 
"Wohl! Sieben Jahr, o Königin,
Zu dienen dir, es schreckt mich kaum!"
Er küßte sie, sie küßte ihn,
Ein Vogel sang im Eschenbaum. 
 
 
"Nun bist du mein, nun zieh mit mir,
Nun bist du mein auf sieben Jahr."
Sie ritten durch den grünen Wald,
Wie glücklich da der Reimer war

 
Sie ritten durch den grünen Wald
Bei Vogelsang und Sonnenschein,
Und wenn sie leicht am Zügel zog,
So klangen hell die Glöckelein

 
Text:
Theodor FONTANE (1819-1898),
nach einer schottischen Ballade 
Musiksatz:
Johann Karl Gottfried LOEWE (1796-1869), op. 135.